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Ein Jahrhundert Kunst
10.02.2010 - 14:32

"Ob Realismus, ob Idealismus, in den Übertreibungen ihrer Tendenz geht jede Richtung über den Rahmen des Bilds hinaus. Der Idealist, der zu transzendenten, der Realist, der zu soziologischen Spekulationen über das Leben führen will durch seine Arbeiten - beide malen eigentlich nur pro forma."
(Max Klinger, deutscher Bildhauer (*1857), Maler und Grafiker)

"Es ist unmöglich, Künstler zu sein und dabei der Schranken und Gesetze nicht zu achten. Die Kunst ist Begrenzung; zum Wesentlichen eines Bildes gehört der Rahmen."
(Gilbert Keith Chesterton (*1864), Aphorismen und Paradoxa)



Kunst ist Vielfalt

1795 - 1835
Die letzte Jahrhundertwende brachte uns die Romantik. Diese zauberhafte Phantasterei, die Poesie der Weltseele eines Schelling, der Sturm und Drang großer Namen wie E.T.A. Hoffmann oder Novalis haben wir aber lange schon hinter uns gelassen. Nur in England hält sich der „Gothic Romanticism“ hartnäckig in den Ecken und Nischen der Gesellschaft. Die Shelleys, Lordy Byron, Keats, Wordsworth und LeFanu sind dort noch nicht vergessen.

Hierzulande sind die Maler der Romantik wie Caspar David Friedrich nicht mehr allzu beliebt, wenn auch die Musik Beethovens, Schuberts und Carl Maria von Webers noch immer breiten Anklang findet.


1815 - 1848
Der Nachtwächterstaat des Biedermeier gebar ein konservatives Traditionsbewusstsein, der Staat überschattete die private Idylle. Die bürgerliche Beschaulichkeit, die sich an den Idealen der Klassik orientierte, brachte zwar große Namen wie den Philosophen Friedrich Hegel oder die Werke eines Mörike oder Grillparzer hervor. Aber alles in allem war die Kunst dieser Zeit klein, beschaulich, und wenig visionär.

Die kleinbürgerlichen Bilder eines Carl Spitzweg und die Blütezeit des Strauß’schen Walzers sind inzwischen – Gott sei Dank – in Vergessenheit geraten.


1830 - 1850
Dem Spießbürgertum des Biedermeier stellte sich die Satirik des „Neuen Deutschlands“ entgegen, verkörpert unter anderem vom Simplicissimus und seinen Autoren. Georg Büchner und Heinrich Heine glänzten als Literaten. Der erste französische Sozialist Saint-Simon predigte seine Ideale, Ludwig Feuerbach verbannte den Glauben zugunsten des Wissens.


Ab 1850
Diese Zeit neuer Ideen, die wir als Realismus zusammenfassen könnten, hat zu viele Blüten getrieben, um sie zählen zu können: Karl Marx und Friedrich Engels mit ihrem kommunistischen Manifest, den Materialismus eine Georg Büchner, Darwinismus, Determinismus, den Kulturpessimismus Schopenhauers, den englischen Utilitarismus – all diese Denkrichtungen, die ein Ventil in der Kunst suchen. In Österreich, Deutschland und der Schweiz erstarkt ein poetischer Realismus, während Frankreich, England und Russland es mit dem kritischen Realismus halten.

Zu nennen sind natürlich Friedrich Hebbel, Theodor Fontane und sein Namensvetter Storm, Wilhelm Busch und Marie von Ebner-Eschenbach. Die Novelle und Gesellschaftsromane werden zum Spiegel des erstarkenden Bürgertums, Milieuschilderungen und Humor gehen Hand in Hand.
In der Malerei stehen sich die bäuerlichen Themen eines Hans Defregger und die Repräsentationsmalerei eines Hans Makart gegenüber. Die Architektur wendet sich zum Historismus und der Nachahmung vergangener Stile. Und musikalisch tun sich Namen wie Richard Wagner, Franz List und Johannes Brahms hervor.


Ab 1880
Als wäre der Realismus nicht genug, wächst in den letzten Jahren ein Naturalismus heran, der seine Inspiration aus der neuen, stetig wachsenden Unterschicht nährt. Ohne die Vergoldung, mit welcher der Realismus das Milieu mildert, wird eine harsche Naturgetreue geboren.
Leo Tolstoj und Fjodor Dostojewski in Russland, Henrik Ibsen aus Norwegen, Émile Zola aus Frankreich und Gerhart Hauptmann aus Deutschland sind als Vertreter dieser radikalen Richtung zu nennen, die dem Kaiser so gar nicht schmecken will.

(Aus „Jahrhundertkunst“ von Eduard Meyer)


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