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Gesellschaft   Absinthrituale
01.02.2010 von Estelle

In der Gesellschaft der Baroness de Monfort bin ich letztlich in ein Ritual eingeführt worden, welches mich nachhaltig beeindruckte, da es nicht sehr aufwändig ist, dennoch eine schöne Atmosphäre erzeugt.

Ich bekam zunächst ein Glas gereicht, welches anmutig und ein wenig bauchig geformt war. Darin befand sich eine grünliche Flüssigkeit. Jedoch nicht viel. Ich nehme an, dass es sich etwa um 2 bis 4 cl gehandelt haben muss.
Als ich an der Flüssigkeit roch, bemerkte ich den intensiven Geruch von Anis. Die anderen Ingredienzien waren mir unbekannt.

Danach reichte man mir eine Art Löffel, der jedoch löchrig war und wies mich an, je nach Geschmack einen oder zwei Stücke Zucker aus der Zuckerkugel darauf zu platzieren. Ich wählte ein Stück, da sich zum einen nicht sehr viel der grünen Flüssigkeit in meinem Glas befand und ich zum anderen die Befürchtung hegte, dass es zu süß werden könnte. Bei einer größeren Menge empfehlen sich sicher zwei Stücke.

Eine Karaffe mit eiskaltem Wasser wurde mir als nächstes gereicht und ich tat, was ich zuvor bei den anderen Gästen beobachtet hatte: Ich goss langsam und vorsichtig das Wasser über den Zucker auf dem löchrigen Löffel in das Glas. Die grüne Flüssigkeit wurde ein wenig trüb, aber das schien so gewollt zu sein.

Als ich mein Glas dann entsprechend und angemessen befüllt hatte, prosteten wir uns gegenseitig zu. Ich war beim Trinken zunächst sehr vorsichtig, wusste ich doch nicht, was sich hinter dem Getränk verbirgt, doch als es meine Zunge berührte, war ich von dem Zauber gänzlich erfasst.

Man erklärte mir hinterher, dass es sich bei dem Getränk um Absinth gehandelt habe und dass ich mich darauf vorbereiten solle, alsbald einer grünen Fee zu begegnen.

Ich mag dieses kleine Ritual. Es hat etwas sehr geselliges und ich konnte beobachten, dass die Baroness de Montfort völlig anders auf den Absinth zu reagieren scheint, als es beispielsweise Comte Montesquiou-Fezensac tat. Dementsprechend ist dieses Ritual auch eher für einen etwas bekannteren Kreis gedacht.
Ich gehe davon aus, dass die Baronesse mich auf diese Weise in ihre Gesellschaft aufgenommen hat. Vermutlich handelte es sich gar um eine Art Aufnahme-Ritual...

(aus dem Tagebuch der Marquise Estelle Ariette de Beaumanoir, Januar 1887)


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